Tagebücher

„Unsere Gedanken sind bei den Opfern und ihren Angehörigen“

Wir alle haben in den letzten Tagen die Bilder der Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen gesehen. Wie so häufig geht eine solches Ereignis einher mit Schäden an der Wasserinfrastruktur und Verunreinigungen des Trinkwassers. Als Stadtbrandinspektor und Wassermeister beim Zweckverband Lollar-Staufenberg hat Marco Kirchner sowohl den Einsatz der Rettungskräfte als auch die Herausforderungen für die Wasserversorger im Blick.

 

Herr Kirchner, wir stehen vor den Trümmern der extremsten Flutkatastrophe, die es wohl je in Deutschland gab. Wie haben Sie die letzten Tage erlebt?

Wir haben diese unfassbaren Bilder aus der Ferne gesehen – da kann man sich so gut rüsten, wie man will – man steckt in einer Schockstarre. Wir leben hier in Lollar auch in einer Flüsse-Stadt, aber eine Flutkatastrophe in dieser Stärke haben wir alle vorher noch nicht gesehen. Wenn man schon so lange bei der Feuerwehr ist wie ich, dann hat man natürlich viele Katastrophenfälle erlebt – aber es ist kaum möglich zur Tagesordnung überzugehen. Meine Gedanken sind bei den Opfern, ihren Familien und Freunden. Auch fünf Feuerwehrangehörige sind gestorben. Wir machen uns das selten klar: 99 Prozent der Feuerwehren sind freiwillig. Sie leisten ehrenamtlich Hilfe – sogar unter Einsatz ihres Lebens.

„Wir machen uns das selten klar: 99 Prozent der Feuerwehren sind freiwillig. Sie leisten ehrenamtlich Hilfe – sogar unter Einsatz ihres Lebens.“

Marco Kirchner, Stadtbrandinspektor der Stadt Lollar


Wir hören viel davon, dass ganze Dörfer jetzt ohne Trinkwasser sind. Können Sie uns das erklären? Was bedeuten solche Regenmengen für die Trinkwasserversorgung?

Das ganze Leitungssystem oder große Teile davon können bei einer solchen Katastrophe weggerissen werden, dann läuft das System samt Hochbehälter leer, da helfen auch Rohrbruchsicherungen nicht mehr. Zurück bleibt ein Leitungsnetz mit vielen Lecks, durch das kontaminiertes Wasser eindringen kann. Und in Gebieten, in denen Trinkwasser aus oberflächennahen Quellen gewonnen wird, kommt es sehr schnell zu mikrobiologischen Einträgen. Aber auch der Strom und das Internet fehlen – die ganzen Prozessleitsysteme fallen aus. Nur sehr große Wasserversorger sind dagegen gewappnet. Aber THW und Rotes Kreuz sowie weitere Katastrophenschutzeinheiten helfen bei einer solchen Katastrophe mit Wasseraufbereitungsanlagen. Auch die Mitarbeiter der Wasserversorger sind hygienisch sehr gut geschult und unterstützen dabei, schnell eine Ersatzversorgung aufzubauen.

Als Mitarbeiter der Feuerwehr und Wassermeister sitzen Sie praktisch an der Schnittstelle von Katastrophenschutz und Trinkwasserwasserversorgung. Was konnten und können Sie für die Menschen tun? Sind Ihre Einsatzkräfte auch ausgerückt?

Ja, wir haben in Hessen sehr gut ausgestattete Rettungskräfte. Am Donnerstag ist der erste Löschzug mit fünf Fahrzeugen aus dem Kreis Gießen nach Nordrhein-Westfalen gestartet und hat in dem sehr stark betroffenen Ort Ficht geholfen. Bundeswehr und THW haben mit Großgeräten unterstützt – das war angesichts der Zerstörung und Schlammmassen sehr wertvoll. Es ist gut, dass Bund, Länder und Kommunen an einem Strang ziehen. Jede Stadt und jeder Kreis kann Hilfe in einem Umfang schicken, dass der eigene Grundschutz gewährleistet bleibt. Dabei warten wir ab, bis wir angefordert werden. Die Einsatzkräfte und Krisenstäbe vor Ort wissen am besten, wo welche Hilfe gebraucht wird.

 


Aus Sicht der Rettungskräfte: Welche Verhaltensweisen wünschen Sie sich jetzt von den Menschen?

Die Hilfsbereitschaft ist riesig und das ist toll. Aber man sollte abwarten, welche Hilfe gebraucht wird. Es hat keinen Sinn planlos in die Katastrophengebiete zu fahren. Die Abstimmung mit den Hilfskräften vor Ort ist ausschlaggebend. Jeder, der helfen möchte kommt zum Zuge: In den betroffenen Gebieten wird noch über Monate Hilfe gebraucht werden.

 

Über Marco Kirchner

Seit seinem 14. Lebensjahr ist Marco Kirchner bei der Freiwilligen Feuerwehr von Lollar. Er mochte es schon immer im Team, mit Menschen zu tun zu haben und sich für sie einzusetzen, selbst in größter Not. Die schlimmsten Einsätze für ihn sind die Suizide an der nahegelegenen Bahnstrecke. Lieber hat er es, wenn er Leben retten kann. Seine Kameraden schätzen sein Engagement und haben ihn deswegen 2006 zum Stadtbrandinspektor gewählt. Auch hauptberuflich hat der Ehrenbeamte viel mit Wasser zu tun: Als Wassermeister des Zweckverbandes von Lollar-Staufenberg. Die Synergien kommen seinem Team zu gute: Er weiß immer, wo im Ort es Wasser gibt und wie viel.

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